Dass ein Käfer kein Haushaltsgegenstand ist, kling zunächst trivial, ist es aber nicht. Geht eine Kaffeetasse bei einem Umzug zu Bruch, kauft man eben eine neue. Ärgerlich wird es, wenn das Service zu dem die Kaffeetasse gehörte nicht mehr hergestellt wird. Ein nicht ersetzbarer Verlust ist es, wenn diese spezielle Kaffeetasse mit einer besonderen Erinnerung verbunden war, etwa, weil sie der Urgroßmutter gehörte oder weil das Kind sie selbst getöpfert hatte.
Der Fall liegt bei Museumssammlungen ähnlich, nur geht es nicht um den Erinnerungswert für eine Person oder eine Familie, sondern um die Geschichte der Menschheit. Entsprechend schwer wiegt der Verlust eines Objektes hier.
Bei naturkundlichen Sammlungen kommt nun ein weiterer Aspekt hinzu: hier bedeutet der Verlust eines Sammlungsstückes gleichzeitig den unwiederbringlichen Verlust von Informationen, die für die aktuelle und zukünftige Forschung wichtig sind. Zwar ist das grundsätzlich auch bei kunst- und kulturgeschichtlichen Sammlungen der Fall, hier können aber die Auswirkungen des Verlustes zumindest teilweise durch gute Dokumentation und Digitalisierung gemildert werden. Unser Käfer ist jedoch selbst der Wissensspeicher für Informationen, die nur durch ihn zu bekommen sind. Nur dieses Exemplar ist zu exakt dieser Zeit an exakt diesem Ort gesammelt worden und birgt all die Informationen über seine damalige Umwelt in sich. Keine Form von Dokumentation und Digitalisierung kann alle Fragen erfassen, die zukünftige Generationen von Forschern an ihn haben werden. Ein Erhalt dieser Information ist nur über den Erhalt des Käfers selbst möglich.
Nicht alle Käfer gehören in die Sammlung
Da der Erhalt der Sammlungsstücke von so großer Bedeutung ist haben Generationen von Forschern versucht, Schaden von ihren Objekten fernzuhalten. Naturkundliche Sammlungen sind für Schädlinge äußerst attraktiv und dementsprechend wurde alles, was die chemische Forschung und Industrie in den vergangenen Jahrhunderten an Bioziden entwickelt hat hier eingesetzt. DDT in Käfersammlungen, Arsen in Taxidermien, Quecksilber in Herbarien, vom Nervengift bis zur Phosphorsäure ist alles dabei, was die Gesundheit nachhaltig schädigen oder gar tödlich sein kann.
Für den Umzugsfall bedeutet dies, dass Sie gleich zwei Dinge mit bedenken müssen, die bei einem konventionellen Haushalts- oder Büroumzug gar keine Rolle spielen:
- Sie müssen verhindern, dass Schädlinge die günstige Gelegenheit nutzen, um während eines Transportvorgangs in Ihre Sammlung zu gelangen. Das bedeutet, dass die Umzugsgebinde entsprechend verpackt sind und die Transportwege so mit Schleusen und Quarantänestationen ausgelegt sind, dass ein Befall ausgeschlossen werden kann.
- In Ihren Arbeitsabläufen müssen Sie davon ausgehen, dass Sie mit hoch schadstoffbelasteten Gütern arbeiten. Biozideinsatz in Sammlungen wurde in der Vergangenheit meist nicht oder nur unzureichend dokumentiert. Gewissheit darüber, mit welchem Giftstoff in welcher Menge Sie es zu tun haben ist nur durch Messungen im Vorfeld zu ermitteln. Daraus ergeben sich dann Anforderungen für Schutzausrüstungen, Transport und Lagerung.
Davon abgesehen gibt es eine weitere Gefahrenquelle: die Objekte selbst. Manche von ihnen sind selbst giftig oder radioaktiv und müssen dementsprechend anders behandelt, transportiert und gelagert werden als eine Kaffeetasse.
Käfer auf Reisen – keine Pauschaltouristen
Transporte gehen dann schnell und unproblematisch, wenn Dinge standardisiert werden können. Vom Privatumzug kennen Sie das: Es gibt standardisierte Umzugskartons, die dann perfekt in den Umzugswagen passen. Sie müssen lediglich darauf achten, dass Sie diese Kartons gut packen und nicht überlasten.
In naturkundlichen Sammlungen gibt es auch viele Dinge, die sich für den Transport standardisieren lassen. Käfer werden z.B. meist mit vielen Artgenossen zusammen in einer Schublade gelagert und diese Schublade kann dann mit anderen Schubladen zusammen verpackt und transportiert werden. Viele andere Sammlungsgegenstände tun den Sammlungsverantwortlichen diesen Gefallen aber nicht.
Viele Objekte in naturkundlichen Sammlungen sind sogenannte Feuchtpräparate, die in mit Alkohol oder Formalin gefüllten Gläsern aufbewahrt werden. Diese Sammlungsobjekte sind nicht nur zerbrechlich, sie sind auch noch vibrationsempfindlich, der Inhalt feuergefährlich und gesundheitsschädlich. Darüber hinaus darf ihre Transportroute nicht durch ein Wasserschutzgebiet führen.
Dies ist nur ein Beispiel für die vielen Sonderfälle die beim Umzug einer naturkundlichen Sammlung auftreten und vom Standard abweichen. Manches ist so schwer, dass Sie eine Schwerlastfirma beauftragen müssen. Anderes ist so fragil, dass dafür erst spezielle Transportverpackungen gebaut werden müssen. Vieles ist sowohl schwer als auch zerbrechlich. Manche Präparate müssen dauerhaft gekühlt werden, um erhalten zu bleiben. Hier darf beim Transport die Kühlkette nicht unterbrochen werden. Eine präparierte Giraffe oder ein Walskelett kann so komplexe Herausforderungen an den Transport stellen, dass mehrere Experten mehrere Tage mit der reinen Planung der besten Transportmethode beschäftigt sind.
Käfer einlagern – kein Fall fürs Möbelhaus
Wenn Sie bis hierher gelesen haben, haben Sie es vermutlich schon erraten: Der Lagerort für eine naturkundliche Sammlung muss eine ganze Menge leisten. Er muss Schädlinge abhalten, ein stabiles Raumklima bieten, ausreichend Luftzirkulation haben und mit Möbeln ausgestattet sein, in denen die Objekte über Jahrzehnte so gelagert werden können, dass sie keinen Schaden nehmen und trotzdem leicht für die Forschung zugänglich sind.
Unterschiedliche naturkundliche Sammlungsarten können dabei sehr unterschiedliche Anforderungen haben. Hohe Luftfeuchtigkeit ist meistens das größte Problem, da sie Schimmel begünstigt und Schädlinge anzieht. Doch auch Trockenheit kann Schäden verursachen. Temperaturschwankungen lassen Felle an präparierten Tieren reißen und Fossilien auseinanderbrechen. Eine nicht ausreichende Belüftung lässt die Schadstoffkonzentration im Raum steigen und die Schimmelgefahr wächst. Gute Museumsdepots bieten für jede Art von Sammlung das jeweils passende Raumklima. Sie sind so konstruiert, dass selbst im Notfall, bei Ausfall sämtlicher Technik, mit konventionellen Mitteln schnell wieder gute Lagerungsbedingungen hergestellt werden können, bevor es zu Schäden an den oder gar Totalverlust von Sammlungsobjekten kommt.
Zur sicheren Lagerung gehört auch die Zugänglichkeit. Objekte müssen so entnommen werden können, dass sie und die mit ihnen zusammen gelagerten Objekte keinen Schaden nehmen. Unser Käfer ist dabei in seiner Schublade schon sehr platzsparend aufbewahrt. Andere Objekte brauchen mehr Platz, Sie müssen z.B. ein Feuchtpräparat mit seinem Glas so aus dem Regal nehmen können, dass die benachbarten Gläser dabei nicht bewegt werden müssen. Diese Bewegungsfreiheit kostet Lagerplatz, ist aber unabdingbar für die sichere Lagerung.
Für all diese Probleme gibt es gute Lösungen, die aber nicht im nächsten Baumarkt erhältlich sind. Es gibt Experten und Firmen, die sich auf dieses Fachgebiet spezialisiert haben.
Was am endgültigen Lagerort geplant ist, hat Auswirkungen auf den Umzug selbst: wenn sich unser Käfer zum Beispiel im Moment in einer Schublade befindet, die durch Biozide verseucht ist oder schlicht nicht ins Raster der neuen Sammlungsmöblierung passt, dann müssen er und seine Artgenossen vor dem Umzug in eine neue Schublade umziehen. Es kommt also durchaus vor, dass ein großer Umzug im Vorfeld mehrere kleinere Umzüge bedingt.
Fragen an den Käfer zu jeder Zeit
Kunst- und Kulturgeschichtliche Sammlungen schränken oft einen Großteil ihrer Sammlungs-, Ausstellungs- und Forschungstätigkeit während der Zeit eines Sammlungsumzugs ein. Eine naturkundliche Sammlung, die Teil eines internationalen Forschungsnetzwerks ist, wird sich diesen relativen Luxus in den meisten Fällen nicht leisten können.
Das bedeutet aber auch, dass ein Sammlungsumzug hier ganz anders angegangen werden muss. Es können nicht einfach ganze Sammlungsteile verpackt und bis zum eigentlichen Umzug kompakt und weitestgehend unzugänglich eingelagert werden. Zu jeder Zeit muss ein Zugriff auf einzelne Objekte und Sammlungsteile möglich sein.
Generell gibt es zwei Möglichkeiten mit dieser Anforderung umzugehen: Entweder wird die Zeit in der eigentlichen Umzugseinheit so kurz wie möglich gehalten, das heißt Transportvorbereitung, Verpacken, Transport, Entpacken und neu einlagern geschieht innerhalb weniger Tage. Oder die Umzugseinheiten werden so gewählt, dass auch während der Phase der Einlagerung ein Zugriff jederzeit gefahrlos möglich ist. Beide Möglichkeiten haben Vor- und Nachteile, bedeuten aber beide, dass an Start- und Zielort mehr Platz benötigt wird und ein Mehraufwand an Zeit und Personal im Vergleich zu anderen Sammlungstypen besteht.
Schlussbemerkung: Im Zweifel für den Käfer
Mit dem Erfahrungshorizont der eigenen Haushaltsumzüge erscheint der Zeit-, Kosten- und Personalaufwand für den Umzug von Museumssammlungen immer relativ hoch. Dieser Eindruck relativiert sich schnell, wenn man die Hintergründe kennt.
Dabei ist keine Art von Museumssammlung per se „einfacher“ oder „schwieriger“ umzuziehen als eine andere. Jede Art hat ihre eigenen Herausforderungen. Naturkundliche Sammlungen gehören dabei aber sicherlich zu den komplexesten mit denen man es zu tun haben kann. Und sie haben mit einem Manko zu kämpfen: während jeder einsieht, dass man die Mona Lisa nicht einfach auf die Ladefläche eines alten Lastwagens wirft, ist ein Käfer augenscheinlich „nur“ ein Käfer. Dass er ein Wissensspeicher ist, dessen unentdeckte und undokumentierte Informationen unter Umständen bedeutsamer sind als das umfassend untersuchte und dokumentierte Kunstwerk von Leonardo da Vinci sieht man ihm nicht an.
Zur eigentlichen Komplexität des Umzugs und der schieren Masse an Exemplaren, die von A nach B transportiert werden müssen, kommt also noch eine weitere Herausforderung: Der Öffentlichkeit klarzumachen, warum ein Käfer keine Kaffeetasse ist.
Vielleicht trägt dieser Artikel ja ein wenig dazu bei.
Angela Kipp