Museumsdokumentation ist ein Akt der Fürsorge

Wir alle, deren Aufgabe es ist, die Dokumentation in unserem Museum zu verbessern, haben oft große Probleme den Kollegen die zentralen Punkte klar zu machen, wenn sie in die Diskussion um Standards und Langzeiterhaltung nicht so eingebunden sind. Vielleicht sind wir zu tief in die Probleme verwickelt, um die Idee dahinter deutlich zu machen. Vielleicht sollten wir mal einen anderen Zugang versuchen. Vielleicht sollten wir einfach einmal einen anderen Blickwinkel einnehmen. Versuchen wir es einmal so:

Wer würde sich nicht gerne um so eine flauschige alte Dame kümmern?

Diesen Sommer habe ich mich um eine ältere Dame gekümmert. Sie ist 17 Jahr alt. Das ist für eine Katze schon ein beachtliches Alter, es entsprich über 80 menschlichen Jahren. Der Eigentümer ging für zwei Wochen in Urlaub, deshalb sprang unser örtlicher Katzensitter-Verein ein, um sicher zu stellen, dass die Katze in ihrer gewohnten Umgebung bleiben konnte. Mau war eine sehr vornehme, liebenswerte, ältere Dame, aber wie das mit zunehmendem Alter nicht zu vermeiden ist, sie hatte einige gesundheitliche Probleme. Sie musste jeden Tag verschiedene Medikamente nehmen. Das kann schon schwierig werden, wenn es sich um einen menschlichen Patienten handelt. Wenn man aber eine Katze versorgt, dann kann das eine entmutigende Erfahrung werden. Und da Mau unter anderem Leber- und Nierenprobleme hat, war es sehr wichtig fest zu halten, ob sie regelmäßig aß. Wenn sie für 24 Stunden die Nahrung verweigerte war das ein Warnsignal. Dann musste etwas getan werden, um sie zu überzeugen, zum Beispiel eine Dose Thunfisch öffnen. Wenn sie aber 48 Stunden nicht aß war es ein Notfall, der besondere Medikamente, vielleicht sogar einen Besuch beim Tierarzt erforderte.

Da der Besitzer seine Katze liebte, notierte er auf ein paar Seiten eine „Bedienungsanleitung“ mit all den Bedürfnissen der Katze. Da war festgehalten, welche Medikamente, wie viele, wann und auf welche Art und Weise ihren Weg in die Katze finden sollten. Er hielt auch einige Tricks fest, die in der Vergangenheit geholfen hatten, z.B. die Pillen in eine besondere Sorte Wurst zu verstecken. Es gab sogar ein Training ehe er verreiste, sodass wir die Verabreichung der Medizin unter seiner Aufsicht üben konnten.

Die “Bedienungsanleitung” für die Katze

Als dann ein anderer Katzensitter und ich die Verantwortung übernommen hatten, stellten wir bald fest, dass es nötig war, die Angelegenheiten rund um die Katze zu überwachen, zum Beispiel: hat die Katze ihre Pillen genommen und hat sie ordentlich gegessen? Da einer von uns morgens, der andere abends nach der Katze sehen würde, bekämen wir uns nicht zu Gesicht. Und da wir beide arbeiteten und sehr enge Zeitpläne hatten, war ein Anruf keine Option. Auch Mailen oder Texten erschien mühsam und nicht wirklich verlässlich.

So platzierten wir in der Küche in Blatt Papier, mit dessen Hilfe wir den Zustand der Katze von Tag zu Tag überwachen konnten. Wir notierten Dinge wie „Verabreichung der Nierenmedikamente ging gut, aber sie weigerte sich, die rote Pille zu schlucken“ oder „Futternapf war noch voll“. Wir nutzten dieses „Tagebuch“ auch, um Beobachtungen zu teilen wie “liebt es gebürstet zu werden“ oder Tricks wie „wenn man die Pille in einem Leckerli versteckt, nimmt sie das Leckerli nicht. Aber wenn man ihr einige Leckerli ohne Pille hinwirft und sie beginnt diese zu fressen, dann kann man die Pille in das nächste Leckerli hineinschmuggeln“.

Das Tagebuch

Wie Sie sich vorstellen können ging alles gut und wir konnten dem Besitzer, als er zurückkam, einen glückliche, wohl versorgte Katze übergeben.

Was hat diese Geschichte nun mit Dokumentation zu tun?

Nun, das Tertium Comparationis 1 ist die Fürsorge. Alle beteiligten Menschen taten das, was sie taten aus Fürsorge. Zugegeben, die Objekte in unseren Sammlungen sind keine lebenden, schnurrenden Kreaturen. Aber da wir uns um sie sorgen, tun wir mit der Dokumentation etwas sehr Ähnliches:

  • Wir stellen sicher, dass alles Wissen über unsere Sammlung, ganz wie bei der „Bedienungsanleitung “, in einem zentralen Dokument oder Dokumenten festgehalten wird. So wird festgehalten, was, warum, wann und wie zu geschehen hat. Das sind dann unsere Handlungsanweisungen und manches davon findet sich sogar in den Leitlinien der Sammlung.
  • Wir stellen auch sicher, dass diese Dokumente allen zugänglich sind, die in die Betreuung der Sammlung eingebunden sind.
    In unserer Geschichte lag die „Bedienungsanleitung “ auf dem Küchentisch, sodass jeder im Zweifelsfall Zugriff darauf hatte. Wenn der Eigentümer jedem der Katzensitter ein Exemplar gegeben hätte, wäre das keine gute Lösung gewesen: im Fall der Krankheit eines Katzensitters hätte der Ersatz keinen Zugang zu dem Dokument gehabt.
  • Wir schaffen Voraussetzungen, die es erlauben fest zu halten, was mit unseren Objekten passiert. Wir stellen sicher, dass jeder erfahren kann, was wann mit einem Objekt passierte, gleich ob er oder sie in einer Stunde mit dem Objekt arbeiten müssen oder erst in 20 Jahren. Deshalb halten wir in den jeweiligen Datensätzen objektrelevante Fakten fest wie Schäden, Standortwechsel, Ausleihen oder konservatorische Behandlung – so wie wir das mit dem „Tagebuch“ für die Katze gemacht haben.
  • Wir drücken uns präzise aus und vermeiden umgangssprachliche Wendungen, sodass jeder, der in Zukunft die Dokumentation liest, sie auch verstehen kann.
  • Zu guter Letzt verlassen wir uns nicht alleine auf die Dokumentation. Wir vermitteln in praktischen Übungen wie die Aktualisierung der Datensätze korrekt erfolgt und wie mit den Objekten um zu gehen ist.

Wenn also das nächste Mal ein Kollege vergisst, einen Standortwechsel oder eine Beschädigung ein zu tragen, dann werden Sie ihn oder sie vielleicht nicht mit einer Lektion über die Wichtigkeit der Dokumentation langweilen. Sie könnten es vorziehen, die Geschichte einer liebenswürdigen, älteren, schnurrenden kleinen Katze zu erzählen.

Angela

Übertragung aus dem Englischen ins Deutsche von Brigitte Herrbach-Schmidt.

  1. Lateinisch: „das Dritte des Vergleiches“, die Gemeinsamkeit zweier Dinge, die man miteinander vergleicht.

6 thoughts on “Museumsdokumentation ist ein Akt der Fürsorge”

  1. Wow Angela, you certainly haven’t lost your touch! The cat analogy works very well, and I love the way you point out the connections to collections work, just in case any of us missed them. I also enjoyed the creativity in finding ways to entice the cat to take her meds, and the clarity explaining the methods. You are a consummate communicator and a born teacher!

  2. I also love cats (have 4) and this analogy is spot on! It’s a good teaching tool for those at your museum who have no clue about what collections management is all about. But they do understand taking care of animals. Thank you so much for sharing this.

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