Sich über Dinge zu unterhalten, ganz gleich welche es sind, ist leichter, wenn alle Beteiligten genau wissen, wie bestimmte Dinge benannt werden.
Hier ein mögliches Szenario:
Bei der Jahresversammlung des Gartenvereins „Jedermann“ ist auch eine Pflanzen-Tauschbörse vorgesehen. Einige der Mitglieder stehen um einen großen Topf, in dem etwas Grünes, zart und haarig mit tief roten Blüten wächst. Frau Seifenwürze ruft: „Oh, daran erinnere ich mich, es wuchs im Garten meiner Großmutter. Es ist der behaarte Purpurbecher!“ Herr Thymian streicht sein Kinn und grummelt: „Nein, nein, mein Bruder baute das gewerbsmäßig an, das sind Kaminrote Fingerblätter, das weiß doch jeder.“ „Karminrot“ brummelt seine Frau, die Lehrerin gewesen ist. „Als ich ein Kind war machte übrigens meine Mutter Tee aus den Blättern und nannte das Falsche Kamille.“
An dem Punkt beschlossen sie, Dr. Grünpflanz zu befragen, den Spezialisten für Pflanzenanbau an der Universität. „Sie haben alle Recht,“ war seine Antwort, „das sind alles volkstümliche Bezeichnungen für Jargonius confusus bzw. Gemeines Anderblatt. Wahrscheinlich hat es in anderen Weltgegenden auch noch andere Namen und diese Bezeichnungen werden möglicherweise auch für mehr als eine bestimmte Pflanze verwendet. Wenn man diese bestimmte Pflanze aber irgendwo in der Welt bestimmen will, dann kann ihr zweiteiliger wissenschaftlicher Name sie eindeutig kennzeichnen.
Der Experte verwendete eine Art „Kontrolliertes Vokabular“, in diesem Fall das System der binomischen Nomenklatur, das wir alle aus dem Biologieunterricht kennen. Es erlaubt Wissenschaftlern in der ganzen Welt, unabhängig von ihrer Muttersprache, exakt zu wissen, welche Art Pflanze oder Tier dieser „jargonius confusus“ ist.
Wechseln wir nun zum Museum: wir haben eine Sammlung von Möbeln, Glasbehältern und Instrumenten aus einer Arztpraxis geschenkt bekommen. Ich habe keine Ahnung, wie die Mehrzahl dieser Objekte genannt wird. Zum Glück ist unser Hausarzt auch schon lange ein Freund der Familie. Ihn bitte ich, mir zu sagen, was dieses „verchromte Dingsbums mit einem herausstehenden Draht und einem kleinen Gummiball am Ende“ wirklich ist. Er brachte einen befreundeten pensionierten Arzt mit, der mit genau den Instrumenten praktiziert hatte, die mit der Schenkung ins Museum kamen. Den beiden macht es großes Vergnügen die Sammlung durch zu sehen. Manchmal benennt einer ein Ding so und der andere anders. In der Regel können sie sich aber einigen, so dass ich vernünftiger Weise annehmen kann, dass die Bezeichnung, die ich im Inventar festhalte das wissenschaftlich Äquivalent zum Purpurbecher im Blumentopf ist.
Damit sind wir aber noch nicht am Ende: Die meisten Museen verwenden, um die Verständigung über ihre Objekte zu erleichtern kontrollierte Wortlisten. Viele verwenden ein Buch, das „Nomenclature“1 heißt und in dem der Autor die Objekte nach ihrem Gebrauch klassifiziert hat. Es gibt 10 Kategorie, wie „Möbel“ oder „Werkzeuge und Ausrüstungen für die Kommunikation“ und dort dann wieder zahlreiche Unterkategorien wie „Bettzeug“ und „Bodenbelag“ oder „Ausrüstung für schriftliche Kommunikation“. Wenn man einen dieser Unterpunkte aufschlägt erhält man jeweils eine lange Wortliste. Das sind die zugelassenen Begriffe für die Gegenstände aus dieser Untergruppe. So ist gewährleistet, wenn ich ein Museum anrufe und sage, dass ich einen Esszimmerstuhl ausleihen möchte, dass ich dann keinen Dielenstuhl bekomme. Und wenn ich nach einem Sofa frage bekomme ich nicht etwas, das nur an einem Ende eine Lehne hat. Schwierig wird es aber, wenn man nur einen Namen für das Objekt hat und dieser nicht in dem Buch verzeichnet ist. Manchmal muss man dann einfach den nächstgelegenen nehmen und den Begriff, den man verwenden möchte in der Beschreibung unterbringen. In der besten aller Welten gäbe es auch Begriffserklärungen in der „Nomenclature“. Da dies aber nicht der Fall ist muss ich oft zum Wörterbuch greifen oder zum Art & Architecture Thesaurus des Getty-Museums2, einem wunderbaren online-Wörterbuch, das auch Definitionen bietet. Oder aber ich verlasse mich, wenn ich in der Klemme stecke, auf einen Fachmann – am besten aber auf zwei.
Anne T. Lane
Übertragung aus dem Englischen ins Deutsche von Brigitte Herrbach-Schmidt.
- „Nomenclature“ ist ein kontrolliertes Vokabular für die Klassifikation von Kulturgütern, es wurde von Robert G. Chenhall zusammengestellt und 1978 erstmals veröffentlicht. Seitdem wurde es mehrfach überarbeitet und ist in den USA das Standardwerk für die Klassifizierung von Kulturgütern. Vor kurzem erschien die Version 4.0:
Paul Bourcier, Heather Dunn and The Nomenclature Task Force (ed.): Nomenclature 4.0 for Museum Cataloging, Robert G. Chenhall’s System for Classifying Cultural Objects, 4th Edition, Lanham: Rowman & Littlefield Publishers /AASLH 2015. ↩ - Die Getty Wörterlisten, einschließlich des „Art & Architecture Thesaurus“ findet man hier: http://www.getty.edu/research/tools/vocabularies/. Sie können kostenlos genutzt werden. ↩
Great reminder article…and thanks for the Getty link!