Die Berge und die Sträucher – Überlegungen zu ICOM Mailand 2016

shrubbery2Als ich von der ICOM Konferenz in Mailand nach Deutschland zurück fuhr, fiel mir in der majestätischen Landschaft der Alpen folgendes auf: während ich die ruhige Schönheit der Berge mit ihren Villen und kleinen Bauernhäusern bewunderte, konnte ich die Stille der Bergwelt mit der Kamera nicht einfangen. Mein Fotoapparat tat das, worauf er spezialisiert ist, er fing alles ein, was da war, einschließlich des Gesträuchs neben den Gleisen, das immer wieder den Blick auf die Landschaft verstellte. Dabei hatte ich die Sträucher gar nicht wirklich wahrgenommen, ehe ich versuchte den Blick auf das Gebirge fest zu halten.

Dabei kam mir in den Sinn, dass diese Beobachtung gut zu Gedanken und Beobachtungen passte, die mir während der großen ICOM Konferenz in Mailand durch den Sinn gegangen waren. Es gab dort 40 spezialisierte Arbeitsgruppen, einschließlich meiner eigenen, nämlich CIDOC (International Committee for Documentation), es gab die Experten für Textilsammlungen, die für Glasmuseen, die für Geldmuseen…
Ich weiß, dass diese Spezialisierung hilfreich ist, um spezielle Aufgaben zu diskutieren, die sich in diesen besonderen Sammlungen und bei besonderen Aufgaben im Museum ergeben und ich liebe die Konferenzen bei denen ich Spezialisten mit den gleichen Aufgaben treffe, um Ideen und Horrorgeschichten aus zu tauschen. Im Kontext dieses Treffens kam es mir aber irgendwie seltsam vor. Hier, wo alle Spezialisten versammelt waren, hätte es die Gelegenheit gegeben über die Grenzen der einzelnen Sparten hinweg zu diskutieren, über die Fragestellungen und Herausforderungen, die nur gemeinsam bewältigt werden können. Stattdessen gluckten die Spezialisten jeweils zusammen und jeder machte „sein Ding“. Jeder blickte auf das Gebüsch vor seinen Augen, anstatt den Blick auf die Berge zu richten.

Vielleicht beunruhigte mich das besonders, weil CIDOC die Gruppierung ist, die in den 1950er Jahren gegründet wurde, um sich um Information(en) im Museum zu kümmern. Damit war ein sehr breiter Ansatz gewählt, der gut dazu passt, dass Dokumentare und Registrare oft die zentralen Informationsstellen in ihren Häusern bilden. Den Workflow verbessern und das Sammeln, Strukturieren und Weitergeben von Informationen ist uns in Fleisch und Blut übergegangen. Und nun sitzen wir hier und diskutieren sehr spezielle Fragen der Struktur und Definition von Dokumentation, während nebenan Spezialisten für Museumsmanagement, Museumspädagogik oder die Verwaltung kleiner Musen sitzen und mit Problemen kämpfen, die wir nicht kennen – und bei denen wir doch vielleicht helfen könnten. Andererseits könnte vielleicht der frische Blick von außenstehenden Kollegen uns helfen zu sehen, ob wir den Fokus noch auf den richtigen Dingen haben oder ob wir wichtige Entwicklungen übersehen. Vielleicht fokussieren wir Spezialisten uns, wie die Kamera, ganz automatisch auf das Gebüsch direkt vor unseren Augen. Aber, anders als Fotoapparate, können wir als menschliche Wesen den Fokus auf entferntere Ziele verschieben – es braucht vielleicht nur jemanden, der uns auf die Berge hinweist und auf all die Details, die dort zu sehen sind.

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Ich würde mir wünschen, dass wir bei diesen Konferenzen mehr Diskussionen zu den drängendsten Problemen jeder Berufsgruppe hätten. Ich weiß, dass es schon Arbeitsgruppen zu ähnlichen Themen gibt, aber ich denke an eine breitere Zusammenarbeit. Ich hatte das Glück, mit einer ganzen Reihe von Kollegen aus anderen Berufsgruppen zu sprechen (besonders schön war es, Linda Norris vom Uncataloged Museum zu treffen) und dabei tauchten einig Fragestellungen auf, die gemeinsames Handeln nötig machen würden. Ich will nur ein paar davon aufführen, damit jeder sich seine eigenen Gedanken machen kann:

Wenn Pädagogen überlegen, wie schwierige Geschichten am besten erzählt werden, dann sollten wir nachdenken, wie wir in unseren Datenbanken die besten Informationen für sie finden und ihnen bereitstellen können. Wenn Museen Plätze sind, die sich zu lange nur auf einen kleinen, gut situierten Teil der Bevölkerung konzentriert haben, dann ist an zu nehmen, dass auch die Dokumentation unausgewogen ist und wir brauchen Unterstützung, um Methoden zu entwickeln um hier nach zu bessern. Wenn ein Teil unserer Geschichte verschwindet, weil sie nur auf Magnetbändern gespeichert ist, müssen wir überlegen, wie wir sie retten können – nicht allein als Aufgabe für spezialisierte Restauratoren. Wir müssen gemeinsam überlegen, welche Daten zuerst gerettet werden und wie wir sicherstellen können, dass wir uns für die Zukunft auf die Langzeit-Stabilität der Daten konzentrieren. Wenn die sozialen Medien ein wichtiger Zweig der Kommunikation mit der Öffentlichkeit geworden sind – wie können wir diese Beiträge dokumentieren und nutzen und wie können wir Informationen bereitstellen in einer Art und Weise, dass die Öffentlichkeit sie finden und nutzen kann?

Lassen Sie uns überlegen, wie wir mehr Austausch über die Berufsgrenzen hinaus fördern können – bei großen Konferenzen ebenso wie innerhalb unserer Museen.

Angela

Übertragung aus dem Englischen ins Deutsche von Brigitte Herrbach-Schmidt.

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9 thoughts on “Die Berge und die Sträucher – Überlegungen zu ICOM Mailand 2016”

  1. Interesting post and it definitely reflects my thoughts as well. I often face the same issue at work where the different groups of specialists work in their own group, not realizing that others are working on related topics. It is a waste as I believe a topic will be much more interesting when it is being presented from various angles. 🙂

  2. Very good text and proposition… Maybe at the next General Conference we Will have MCMs… Multiple Competences Meetings…or „committees“…

  3. Very interesting reflection. You are right that we need to be more involved with different groups so we can show them how we can help them.

  4. Very interesting – we see this a lot in our own organisation, with people pursuing their own course of action, apparently oblivious to developments in other areas until the paths are forced to intersect.
    (Also, I have a similar picture taken from a train window as I shuttled through Sweden – by the time I clicked the button the thing I really wanted to photograph was out of sight, which could well be another metaphor)

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